Fliegender Storch

Mys
tik

Über Sinn und Unsinn
einer zweckgebundenen Mystik

Angesichts der sich mehrenden Angebote und Stimmen, die für die „Meditation um zu …“ werben, möchte ich noch mal die Frage aufwerfen, worum es eigentlich geht. Uns sind aus den verschiedenen Traditionen mystische Wege zur Selbst- und Gotteserkenntnis überliefert worden. Im christlichen Kontext ist das die Kontemplation, deren bekanntester Vertreter wohl Meister Eckehart ist. Grundsätzlich unterscheidet sich die Mystik von der Ausübung einer Religion dadurch, dass sie ein Erfahrungsweg ist, also in eine Dimension, ein Bewusstseins-raum hineinführt, der dem Menschen vorher unerschlossen war.

Durch die Praxis der Versenkung, d.h. indem er oder sie die äußere und innere Aktivität zur Ruhe bringt, gestattet der Übende, dass sich diese Ebene in ihm zeigt. Denn unser eigentliches, tiefstes Menschsein ist immer da, allerdings meist verschüttet. Es gibt im Grunde nichts zu suchen und schon gar nicht etwas zu „machen“, sondern nur sich bereit zu halten und zu gestatten, dass durch die Versenkung selbst die Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Wenn das geschieht, kann ich mich als genau diesen tiefen Urgrund erfahren, wie Meister Eckhart diese Ebene nennt. „Wer werden will, was er sein sollte, der muss lassen, was er jetzt ist“, beschreibt Eckhart diesen Prozess und stellt die Unio mystica ins Zentrum seiner Lehren.

Was wir aktuell erleben, ist aber, dass mystische Wege, also die Praxis der Meditation, zweckgebunden und damit ihrem eigentlichen Sinn entfremdet werden. Wenn, wie in der Februarausgabe des Magazins Focus, die in der Hirnforschung nachweisbaren Wirkungen von Meditation dazu anregen, diese als „Hausmittel“ gegen Burn-out und Stress zu propagieren, sind wir dabei, die „Königswege der Erkenntnis“ unserem materialistischen Lebensstil dienstbar zu machen, der geprägt ist vom Wachstumsdiktat der Wirtschaft. Wir vergeben damit die Chance, durch das Innewerden auf einem meditativen Weg einen Wandlungsprozess des Individuums und des Kollektivs herbeizuführen, der die krankmachenden Strukturen unserer Arbeitswelt und die Ausbeutung unserer eigenen Körper, unseres Geistes und unserer Seelen zum Zweck einer Effizienzmaximierung aufhebt.

Elisabeth Müller [Dieser Artikel wurde für das Magazin der IHK Gießen Friedberg zur Veranstaltung der Meister Eckhart Nacht verfasst.]

 

 

Fliegender Storch

Jetzt

Die Zärtlichkeit des Augenblicks

 

Wenn ich meinen Gedanken nicht mehr zuhöre, mir gestatte, ganz im Augenblick anzukommen, dann schmecke ich die Luft auf meinen Schleimhäuten und nehme wahr, wie ich sanft umfangen werde von einer Kraft weit größer als ich selbst, aber nicht ich selbst und nicht getrennt von mir.

Wenn ich für einem Moment alle meine Pläne fallen lasse und mir genehmige, ganz einzutauchen in dieses Da-Sein, dann werden meine Konturen weich, mein Körper wird aufnehmend und meine Haut empfänglich. Dann spüre ich, wie sich der Raum in mir sachte ausdehnt, und mich streift eine Ahnung von der Unendlichkeit.

Wenn ich nur bin, ohne zu wissen, wer eigentlich und warum, wenn ich mich einfach so sein lasse, beginnt in mir behutsam etwas aufzugehen, zögernd noch und stockend erst öffnet es mich, bis ich alle Widerstände fahren lasse und mich voller Wonne hingebe. Dann werde ich gewahr, dass es eins ist: das Loslassen und das Ankommen.

Wenn ich einmal still halte und still bin, alles Tun aufgebe, trete ich aus der Zeit hinaus und merke, direkt nebenan beginnt die Ewigkeit. Dann spüre ich meinen Körper von innen strömen und fließen, pulsieren und rauschen und verneige mich staunend vor dem Wunder der Lebendigkeit.

Wenn ich meiner Auflösung zustimme, nichts mehr sein oder halten will, wenn ich ganz zerrinne und nur noch ein einziges Schmelzen bin, dann erfahre ich, dass es keine Trennung gibt, dass ich und du, Gott und Mensch, innen und außen, dass alles eins ist und außer diesem Einen nichts ist.

„Die Zärtlichkeit des Augenblicks“ von Elisabeth Müller [Publiziert in der Zeitschrift „Kontemplation und Mystik“ 2/2007]

Kleine Spirale in Stein

Aus
steigen

Aussteigen

nur für einen kurzen Augenblick
mich von oben, von außen, vom Ganzen her sehen
mich anschauen
liebevoll
mich anlächeln.

Aufatmen.

So viele Ratschläge
so viele Gedanken.
Verwirrung.

Manchmal ist meine innere Stimme kaum hörbar
übertönt von Gedankenlärm
und Weltgeschäftigkeit.

Manchmal bringt meine Angst sie zum Schweigen,
mein blindes Getrenntsein.

Dann bin ich in mir gefangen
und suche verzweifelt nach einer Ausflucht:

Aussteigen
nur für einen kurzen Augenblick …

Elisabeth Müller „Aufbruch in eine Spiritualität des Alltags“ aus der Zeitschrift „Kontemplation und Mystik“, Jg. 10, 1/2009, S. 50-52