Fliegender Storch

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Wo geht die Reise hin?

 

Der innere Weg wird manchmal verglichen mit einer Reise. Bevor wir diese Reise antreten, bedarf es eines Entschlusses aufzubrechen, denn in jeder Reise steckt ein Risiko, vielleicht erwartet uns ein Abenteuer. Es bedarf also einer Inspiration oder der Sehnsucht nach diesem anderen Ort.

Diese Sehnsucht wird in der Kontemplation auch als Flamme bezeichnet, sie motiviert uns weiterzumachen, wenn es mal holprig wird oder lang. Es kann eine Vision sein oder auch eine innere Not oder Unzufriedenheit oder die Sehnsucht nach Frieden und innerer Fülle. Möglicherweise kennen wir auch schon Zustände innerer Klarheit und Weite und möchten diese erneut erleben oder vertiefen.

Als nächstes brauchen wir einen Kompass oder eine Landkarte. Das entspricht auf der inneren Reise unserer Ausrichtung. Wir richten uns aus nach Offenheit, sind offen für das, was in uns auftaucht; nach Annahme, wir sind bereit, die Dinge anzunehmen, wie sie sind, ohne sie zu bewerten; wir richten uns aus an Herzenswärme oder Mitgefühl für uns selbst, für unsere Meditationspraxis und für die anderen; wir entwickeln eine Liebe zur Wahrheit, zu unserer ureigenen Wahrheit; wir richten uns aus an dem schönen alten Begriff Demut, im heutigen Sprachgebraucht könnten vielleicht dazu sagen: selbstlos dem Ganzen dienen. Diese innere Ausrichtung am Wahren, Schönen und Guten, wie Goethe es nannte, wirkt stark auf unser Inneres und lässt genau diese Qualitäten in uns zum Vorschein kommen, die immer schon da sind, nur eben verbaut, überlagert.

Dann brauchen wir einen Reisebegleiter oder Wanderführer, der den Weg schon gegangen ist und uns hilft, wenn es unwegsam oder dunkel wird, oder der uns auf den Weg zurückführt, wenn wir uns verirrt haben oder eingeschlafen sind.

Und vor allem brauchen wir für unsere Reise ein Fahrzeug oder kräftige Beine, das ist die Praxis der Meditation. Je besser diese Praxis in unseren Alltag eingebaut ist, desto schneller kommen wir voran. Wie sagte Picasso ebenso treffend wie simpel:

„Wer Erfolg haben möchte, muss etwas tun.“

Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, gelangen wir schon bald an unsere ersten Zwischenstationen. Die heißen: ein besseres Konzentrationsvermögen, eine bessere Selbstwahrnehmung, eine Stärkung des Gedächtnisses, mehr Empathie, bessere Stressabwehr. All diese Nebenwirkungen der Meditation sind ausgiebig wissenschaftlich belegt. An der Universität Gießen konnten Forscher anhand von Messungen in den entsprechenden Hirnregionen genau diese Fortschritte nachweisen, nachdem die Teilnehmer acht Wochen meditiert hatten.

Eine zweite wichtige Zwischenstation oder Bewusstheitsebene haben wir auf unserer Reise erreicht, wenn wir nicht mehr alles glauben, was wir denken. Wenn wir also ein Stück Abstand zu unserer Denkaktivität gewonnen haben und nicht mehr damit verfilzt sind … Denn der Satz von Decartes „Ich denke, also bin ich“ ist längst überholt und in der Mystik wissen wir, dass wir GERADE NICHT der Denker in uns sind. An dieser Zwischenstation schaffen wir es sogar schon, über unsere eigenen Gedanken zu lachen und uns nicht mehr so furchtbar ernst zu nehmen.

„In dem Augenblick, in dem du den Denker zu beobachten beginnst, wird eine höhere Bewusstseinsebene aktiviert.“ Eckhart Tolle

Die innere Reise geht – wie das Motto dieses Tages von Doris Zölls uns sagt – ins Unbekannte. Insofern fragen wir uns also wahrscheinlich von Zeit zu Zeit, ob wir überhaupt vorankommen. Einen Anhaltspunkt dafür bekommen wir, wenn wir merken, dass wir im Alltag nicht mehr sofort auf alles reagieren müssen, auch nicht aufs Handy, sondern die Dinge um uns herum auch geschehen lassen können. Wenn wir anfangen, dann zu reagieren, wenn es für uns passt und nicht immer sofort den Kopf drehen nach jedem Geräusch und aufspringen bei jedem inneren oder äußeren Impuls. Sprich: Wenn wir bei uns bleiben. Dass wir, gerade wenn Unerwartetes passiert (der Schlüssel bricht im Schloss ab, das Auto springt nicht an, jemand drängelt sich an der Kasse vor …), nicht mehr mit Widerstand reagieren, sondern das Problem lösen oder eben loslassen.

Wenn wir ein weiteres Stück Wegs zurückgelegt haben, merken wir, dass wir uns nicht mehr von den inneren Aufs und Abs, von unseren Ängsten und Vorstellungen lenken lassen, sondern eine innere Ruhe entwickelt haben, in der wir verweilen oder wohin wir schnell zurückkehren können. Wir wissen, dass ein ewiger Gedankenstrom durch uns fließt, aber dass ich das gar nicht bin. Es ist nur die Geräuschkulisse in meinem Geist ist – sonst nichts.

Sobald wir genügend Wachheit entwickelt haben, um unser Leben wahrzunehmen, also alles, was in uns und im Außen passiert, öffnen sich uns neue Bewusstseinsräume: Wählen zu können, was ich denken möchte und was nicht!! Wir werden zur Chefin im Oberstübchen – Kopf – und damit über die Erfahrung unseres Lebens. Denn es gibt keine objektive Wirklichkeit. Vielmehr ist Wirklichkeit, das was wirkt, und das funktioniert nach der Regel: Energie folgt Aufmerksamkeit. Äußere Reize wirken auf mein Erleben ein und wenn meine Aufmerksamkeit ihnen folgt und mein Ego sie bewertet, entstehen daraus innere Stimmungen und Gefühle.

Und unsere Aufmerksamkeit, also unsere Stimmungen und Gefühle sind gerade schwer umkämpft. Wir erleben gerade eine sehr angstgetriebene Politik und eine mediale Dauerberieselung mit Katastrophenmeldungen. Dabei weiß jeder, dass Angst – vor allem als Dauerzustand – uns körperlich und seelisch schadet, zumindest aber lähmt und handlungsunfähig macht – mit anderen Worten gefügig.

Insofern gibt uns die Meditation oder überhaupt die Bewusstseinsarbeit ein sehr potentes Werkzeug an die Hand, um mit der Zeit selbst zu bestimmen, welchen Gedanken und Gefühlen wir unsere wertvolle Aufmerksamkeit schenken wollen und welchen nicht, damit wir gesund und handlungsfähig bleiben. Haben wir eine gewisse Konzentrationsfähigkeit erreicht, – im Zen wird die Einspitzigkeit des Geistes angestrebt, d.h. den Geist über eine längere Zeit zu fokussieren – und haben über die Meditation, über Yoga oder andere Techniken eine gute Körperwahrnehmung entwickelt, merken wir also viel schneller, wie wir im Körper auf angstmachende Informationen oder Gespräche reagieren und können gleich aussteigen. Entweder indem wir bewusst atmen oder indem wir das innere Strömen unserer Lebendigkeit bewusst spüren. Wenn du deine Aufmerksamkeit an das Hier und Jetzt bindest, also Achtsamkeit praktizierst, beruhigt sich der aufgewühlte Geist. Dadurch gewinnen wir eine enorme Freiheit. Und diese Freiheit vertieft sich immer mehr, je länger und konsequenter wir praktizieren.

„Für den, der sich in Gedanken zum Himmel erhebt, wird es immer klare Tage geben: Über den Wolken scheint immer die Sonne.“ L. Tolstoi

Ich lese gerade zum zweiten Mal die Bücher von Leo Tolstoi, ein sehr weiser Autor. An einer Stelle schildert er in „Krieg und Frieden“, wie der Protagonist in Napoleons Gefangenschaft gerät. Nachts verlässt er die Baracke und geht in den eingezäunten Hof. Er wendet den Blick nach oben und erfährt sich selbst als die Weite des Himmels mit all den Sternen … und muss er lachen bei dem Gedanken: Und das wollen die Franzosen einsperren?

Diese Szene beschreibt eine Erfahrung, die in uns allen angelegt ist, nämlich, dass wir grenzenloses Bewusstsein sind. Wenn wir das erfahren, müssen wir über uns selbst und die Kleinheit unserer Ängste und Sorgen lachen … es macht uns innerlich frei. Die Kontemplation, am besten mit einer Begleitung, kann uns genau dorthin führen. Und wer diesen Weg betritt und mit Ernsthaftigkeit verfolgt, hat heute, da das Licht so groß geworden ist – wie der Schatten – gute Chancen, da anzukommen.

Autorin: Elisabeth Müller, anlässlich des Stilletags in Wölfersheim am 23.09.2023

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Jetzt

Die Zärtlichkeit des Augenblicks

 

Wenn ich meinen Gedanken nicht mehr zuhöre, mir gestatte, ganz im Augenblick anzukommen, dann schmecke ich die Luft auf meinen Schleimhäuten und nehme wahr, wie ich sanft umfangen werde von einer Kraft weit größer als ich selbst, aber nicht ich selbst und nicht getrennt von mir.

Wenn ich für einem Moment alle meine Pläne fallen lasse und mir genehmige, ganz einzutauchen in dieses Da-Sein, dann werden meine Konturen weich, mein Körper wird aufnehmend und meine Haut empfänglich. Dann spüre ich, wie sich der Raum in mir sachte ausdehnt, und mich streift eine Ahnung von der Unendlichkeit.

Wenn ich nur bin, ohne zu wissen, wer eigentlich und warum, wenn ich mich einfach so sein lasse, beginnt in mir behutsam etwas aufzugehen, zögernd noch und stockend erst öffnet es mich, bis ich alle Widerstände fahren lasse und mich voller Wonne hingebe. Dann werde ich gewahr, dass es eins ist: das Loslassen und das Ankommen.

Wenn ich einmal still halte und still bin, alles Tun aufgebe, trete ich aus der Zeit hinaus und merke, direkt nebenan beginnt die Ewigkeit. Dann spüre ich meinen Körper von innen strömen und fließen, pulsieren und rauschen und verneige mich staunend vor dem Wunder der Lebendigkeit.

Wenn ich meiner Auflösung zustimme, nichts mehr sein oder halten will, wenn ich ganz zerrinne und nur noch ein einziges Schmelzen bin, dann erfahre ich, dass es keine Trennung gibt, dass ich und du, Gott und Mensch, innen und außen, dass alles eins ist und außer diesem Einen nichts ist.

„Die Zärtlichkeit des Augenblicks“ von Elisabeth Müller [Publiziert in der Zeitschrift „Kontemplation und Mystik“ 2/2007]

Kleine Spirale in Stein

Aus
steigen

Aussteigen

nur für einen kurzen Augenblick
mich von oben, von außen, vom Ganzen her sehen
mich anschauen
liebevoll
mich anlächeln.

Aufatmen.

So viele Ratschläge
so viele Gedanken.
Verwirrung.

Manchmal ist meine innere Stimme kaum hörbar
übertönt von Gedankenlärm
und Weltgeschäftigkeit.

Manchmal bringt meine Angst sie zum Schweigen,
mein blindes Getrenntsein.

Dann bin ich in mir gefangen
und suche verzweifelt nach einer Ausflucht:

Aussteigen
nur für einen kurzen Augenblick …

Elisabeth Müller „Aufbruch in eine Spiritualität des Alltags“ aus der Zeitschrift „Kontemplation und Mystik“, Jg. 10, 1/2009, S. 50-52